Bild-Frankfurt-800Frankfurt ist ein Turnfest-Routinier. Nach 1880, 1908, 1948 und 1993 war die Stadt zum fünften Mal Ausrichter der Veranstaltung, die sich seit dem jüngsten Treffen in Berlin "international" nennt, weil die Teilnehmer aus vielen Nationen stammen. Eine Woche lang vereinte das Fest 65.000 aktive Teilnehmer.

 

Seine Geschichte als Turnfest-Stadt verdankt Ffm einer Hintertür. Durch sie soll Turnvater Friedrich Ludwig Jahn im September 1848 aus einer Kneipe vor Aufständischen geflohen und so dem Tod entgangen sein. Der 70 Jahre alte Jahn galt radikalen Republikanern als Verräter", weil er einem vermeintlich schmählichen Waffenstillstand mit Dänemark zugestimmt hatte. Nur knapp entkam er dem Mob. Wäre er in Ffm gelyncht worden - die Beziehung zwischen Turnern und der Stadt wäre wohl auf ewig beschädigt gewesen.

Zum Glück kam es anders. Und deshalb konnten wir, die Aktiven unseres TSV 1860, mit Edwin Beege, Helmut Luitle, Wolfgang Roth und Walter Winkelmeier, zusammen mit zigtausend Gleichgesinnter aus rund 40 Nationen, nach Ffm fahren und für ein paar Tage in Klassenzimmern und Turnhallen die Luftmatratzen aufblasen. Unser Domizil lag in Offenbach, Karl-Goerdeler-Str. 131, wo wir in der Buchhügel-Grundschule gut untergebracht waren und sogar für uns allein ein Klassenzimmer in Anspruch nehmen konnten. Das Klassenzimmer daneben, war als Frühstücksraum eingerichtet, wo wir mit allem versorgt wurden, was der sportliche Mensch zum Start in den Tag benötigt. Die äußeren Einflüsse hingegen empfanden wir im Bereich der Schule als weniger angenehm, zumal Offenbach in der Einflugschneise des Ffm-Großflughafens liegt. Ohne zu Übertreiben kann ich berichten, dass dort im Zweiminutentakt die großen zwei- und vierstrahligen Verkehrsflugzeuge mit entsprechendem Geräuschpegel in nur 300-400 m Höhe einschweben. Für uns sehr gewöhnungsbedürftig, während dieses Faktum die Einheimischen sicherlich schon lange nicht mehr stört. Nur nachts bleibt es etwa 4 Stunden lang ruhig.

Zu unserem Wahlwettkampf zwängten wir uns in die neuen enganliegenden Flick-Flack-Nylonanzüge in Farbe eierschale. Dass wir darin eine gute Figur abgaben, steht außer Zweifel. Während der Wettbewerb in der Messehalle an Reck und Barren rasch abgeschlossen werden konnte, mussten wir hinterher in der Leichtathletik-Sportanlage Rebstock beim Lauf, Weitsprung, Kugelstoßen und Ballwurf lange Wartezeiten in Kauf nehmen. Schließlich verzögerte sich auch die Medaillenausgabe noch erheblich. Nicht ganz ohne Stolz dürfen wir darauf hinweisen, dass sich drei unserer Teilnehmer jeweils im vorderen Viertel ihrer Altersklasse platzieren konnten.

Während unseres Aufenthaltes in Ffm blieb genügend Zeit, die Sehenswürdigkeiten in Augenschein zu nehmen. wir versäumten dabei nicht, den Römer, die Paulskirche und die Nikolaikirche aufzusuchen. Auch die Festmeile an den beiden Main-Flussseiten mit Konzerten, Mitmachangeboten und Gastronomie ließen wir nicht aus. Am späten Abend des vorletzten Tages wurde unter nachtblauem Himmel am Main ein grandioses Feuerwerk mit Scheinwerfer-Lichtspielen dargeboten, das alle verzauberte.

Einen Haken hat das Deutsche Turnfest allem Anschein nach nicht gehabt. Sieben frühsommerliche Junitage lang haben nette, patente, bescheidene und begeisterungsfähige Sportfreunde Frankfurt und Umgebung nahezu überschwemmt. Sie hatten Vereinsjacken an, trugen Rucksack und ordentliche Akkreditierungen aus Plastik mit sich herum und haben sich so tadellos benommen, dass mancher Beobachter fast genervt davon war, dass die Großveranstaltung so glatt und reibungslos abgelaufen ist.

Gut Heil, Walter Winkelmeier